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Ist Erben ungerecht?

Testament prüfen Siebert und Dippell die Fachanwaelte

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schlug jüngst ein Grunderbe für jeden in Höhe von 20.000.– € vor, um die wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland zu bekämpfen. Soll bedeuten: Mit 18 Jahren erbt jeder 20.000.– € vom Staat. Dieses Geld soll den Betreffenden unabhängig von der finanziellen Situation der Familie zur Verfügung stehen. Dafür sollen künftig alle Erbschaften an den Staat fallen, um diese Verteilung vornehmen zu können.

Dieses Thema ist grundsätzlich nicht neu. Der Gerechtigkeitstheoretiker Stefan Gosepath will das Erben gar komplett abschaffen.

Der Ökonom Guy Kirsch forderte bereits 2016 eine Erbschaftsteuer in Höhe von 100 %[1]. Helmut Däuble[2]forderte 2019 im Spiegel staatliche Beteiligungen am Firmenerbe. „Familienunternehmer sorgen für Ungleichheit in Deutschland“, stellte der IWF[3] fest und Peer Steinbrück[4] und Andere forderten bereits eine massive Erhöhung der Erbschaftsteuer.

70 Prozent der Bevölkerung empfinden das Erheben von Erbschaftsteuer als unfair. Doch die finanzielle Mehrbelastung der Erben steht auf der politischen Agenda, nicht nur bei linken Gruppierungen.

Woher kommt dieser massive Trend? Ist er Ausfluss einer Neid-Gesellschaft? Oder macht es tatsächlich Sinn, das Erben zu Gunsten der Allgemeinheit (wirtschaftlich) einzuschränken? Werden die heutigen Strukturen des Erbrechts und des Erbschaftsteuerrechts diesen Fragen noch gerecht?

Der vorliegende Beitrag soll als Denkanstoß verstanden werden. Nicht mehr und nicht weniger. Eine sich anschließende Diskussion wäre begrüßenswert.

Gesetzliche Gewährleistung des Erbrechts

Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. So ist es in Artikel 14 des Grundgesetzes mit Verfassungsrang geregelt. Nach den Grundprinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es nach einem Erbfall immer einen Erben, dessen Person bei Eintritt des Erbfalls nur oftmals nicht bekannt ist[5]. In zeitlicher Hinsicht wird ein erbenloser Nachlass dadurch vermieden, dass der Nachlass sofort mit dem Erbfall ohne jede Verzögerung auf den oder die Erben übergeht (§ 1922 BGB). Einer Kenntnis des Erben bedarf es hierzu nicht[6].

Der Umstand, dass es immer einen gesetzlichen Erben gibt, liegt darin begründet, dass das gesetzliche Erbrecht nach Erbordnungen aufgebaut ist und es insoweit eine Begrenzung nicht gibt. Irgendwo gibt es einen entfernten Verwandten, der nur eben gefunden werden muss. Erst wenn der Erbe nicht innerhalb einer den Umständen angemessenen Frist ermittelt werden kann, fällt der Nachlass an den Fiskus (§ 1964 BGB). Diese den Umständen angemessene Frist ist im Gesetz nicht exakt definiert und läuft oftmals über viele Jahre.

Die Suche nach den (gesetzlichen) Erben[7]

Liegt in einem Sterbefall kein Testament vor und sind die nunmehr kraft Gesetzes berufenen Erben nicht bekannt, wird das zuständige Nachlassgericht regelmäßig einen Nachlasspfleger einsetzen (§ 1960 BGB), der die Aufgabe hat, den Nachlass zu sichern und die bislang unbekannten Erben zu ermitteln. Führen dessen Ermittlungen zu keinem Ergebnis, so wird er zumeist einen gewerblichen Erbenermittler einschalten, der in der Mehrheit der Fälle, die Erbfolge erfolgreich klären kann.

Der gewerbliche Erbenermittler forscht in Archiven, beschafft Urkunden im In- und Ausland, geht also einer hochqualifizierten detektivischen Tätigkeit nach. Im Regelfall handelt es sich dabei um Juristen und/oder studierte Historiker/Archivare).

Geht das Erbrecht zum Beispiel mangels näherer Verwandter in die vierte Erbordnung (§ 1928 BGB), so wird es über die Urgroßeltern vermittelt. Wenn der Verstorbene (Erblasser) im Jahr 1940 geboren war, so bewegt sich der Geburtsjahrgang seiner Eltern etwa im Jahr 1915. Wir befinden uns mitten im ersten Weltkrieg. Bei den Großeltern landen wir im Jahr 1890, dem Jahr, in dem Bismarck als deutscher Lotse von Bord gegangen ist.  Bei den Urgroßeltern erreichen wir vielleicht als Geburtsjahr 1866. Hier wurde der Norddeutsche Bund gegründet. Staatliche Personenstandsregister gab es noch nicht. Das Personenstandsgesetz ist am 01.01.1876 in Kraft getreten. Erst seit dieser Zeit gibt es staatliche Standesämter.

Wenn zu den historischen Ermittlungen nun noch Auslandsbezüge kommen, bei denen zu allem noch komplizierte familienrechtliche Vorfragen (Adoptionsfragen, Recht nichtehelicher Kinder) geklärt werden müssen, dann wird die Ermittlungsarbeit vollends kompliziert.

Für den Erbschein, der den Erben in Deutschland als Rechtsnachfolger des Erblassers ausweist, müssen alle Tatsachen und verwandtschaftlichen Beziehungen im Regelfall durch öffentliche Urkunden nachgewiesen werden (§ 352 Abs.3 FamFG), deren Beschaffung, erstrecht im Ausland, nicht immer einfach ist. In vielen ehemals reichsdeutschen Städten im heutigen Osteuropa sind häufig alle Personenstandsurkunden aus der Zeit vor 1945 kriegsvernichtet. Hier helfen dann möglicherweise Dokumente aus Kirchenarchiven weiter, um das Puzzle bis zur erbrechtlichen Rechtsnachfolge zu vervollständigen.

Hat am Ende, möglicherweise nach jahrelangen Ermittlungen, der gewerbliche Erbenermittler den oder die Erben gefunden und kann das Erbrecht gegenüber dem Nachlassgericht für den zu beantragenden Erbschein entsprechend belegt werden, dann wird in vielen Fällen eine Person das hinterlassene Vermögen entgegen nehmen, die den Verstorbenen überhaupt nicht kannte, mitunter von seiner Existenz gar nicht wusste. Für den glücklichen Erben ist das wie ein unverhoffter Lottogewinn.

In den wenigen Fällen, in denen bei werthaltigen Nachlässen der Erbe nicht gefunden werden kann, fällt der Nachlass an den Fiskus.

(Un-)Sinnhaftigkeit des Erbrechts weit entfernter Verwandter

Im Zusammenhang mit diesem Procedere drängen sich verschiedene Fragen auf.

Liegt es im Interesse des Erblassers, wenn sein hinterlassenes Vermögen an jemanden übergeht, den er nicht einmal kannte und zu dem niemals eine Beziehung bestanden hat? Vielleicht ist der gefundene Erbe eine Person mit schlechtem Lebenswandel. Was ist, wenn der Erblasser jüdischer Abstammung war und der Erbe ist ein erklärter Antisemit? Oder ein Überlebender des Holocaust vererbt an den Alt-Nazi.

Natürlich könnten solche Szenarien durch die rechtzeitige Abfassung eines wirksamen Testaments ausgeschlossen werden. In Deutschland herrscht Testierfreiheit. Ein jeder kann daher die Erbfolge, von geringen Einschränkungen abgesehen, frei regeln, um den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge bei seinem Tod zu verhindern.

Nur sehen viele Menschen aus Unkenntnis nicht die Notwendigkeit von testamentarischen Regelungen. Nach einer Umfrage, die das Deutsche Forum für Erbrecht durch EMNID durchführen ließ, haben nur rund 30 Prozent der Deutschen ein Testament errichtet. Davon sollen aber rund 80 Prozent entweder formnichtig oder zumindest streitanfällig sein, weil sie ohne die Mithilfe von Fachjuristen errichtet werden. Trotz aller Aufklärung in den Medien haben sich diese Zahlen in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert. Ist das Testament unwirksam, bleibt es ebenfalls bei der gesetzlichen Erbfolge mit den oben dargestellten möglichen Folgen.

Erbt nach jahrelangen Ermittlungen ein ganz entfernter Verwandter, muss er bei einem persönlichen Steuerfreibetrag in Höhe von 20.000.– € einen Steuersatz in Höhe von 30 Prozent an das Finanzamt zahlen. Liegt der steuerpflichtige Erwerb über 6.000.000.– €, erhöht sich der Steuersatz auf 50 Prozent. Die notwendigen Kosten für den gewerblichen Erbenermittler mindern den steuerpflichtigen Erwerb, können also steuerwirksam in Abzug gebracht werden.

Das sieht dann bei einem ererbten Geldvermögen in Höhe von 800.000.– € wie folgt aus:

Erbanfall        800.000.– €

Kosten der Nachlasspflegschaft   15.000.– €

Honorar Erbenermittler (30 % zzgl. MwSt)         285.600.– €

Persönlicher Freibetrag      20.000.– €

Steuerpflichtiger Erwerb     479.400.– €

Steuer 30%   143.820.– €

Dem Erben verbleiben im Ergebnis 355.580.– €; erhalten von einem Verstorbenen, zu dem oftmals keinerlei Beziehung bestanden hat. Und um dieses, vom Willen des Erblassers wahrscheinlich nicht einmal getragene Ergebnis zu erreichen, werden darüber hinaus erhebliche, steuerlich abzugsfähige Kosten (Nachlasspflegschaft, Erbenermittlung) produziert.

Dem vielleicht mutmaßlichen Willen des Erblassers kann hier sicher nicht mit der Steuerschraube zum Erfolg verholfen werden. Diesen (mutmaßlichen) Willen hätte der Erblasser im Übrigen nur in der gesetzlich vorgesehenen Form artikulieren müssen, in dem er ein wirksames Testament errichtet hätte.

Aber kann ich aus dem Umstand, dass ein Testament nicht errichtet wurde wirklich schließen, dass es dem Erblasser egal war, was mit seinem Vermögen passiert oder dass ihm dies zumindest nicht wichtig genug war, um es zu regeln. Ist es dann aber sachgerecht, das Vermögen kraft Gesetzes quasi einer fremden Person, wenngleich mit dem Erblasser verwandt, zuzuführen?

Begrenzung der gesetzlichen Erbfolge

Um ein solches gesetzliches Vererben in kaum noch greifbare, weit entfernte verwandtschaftliche Beziehungen zu vermeiden, ist in vielen anderen Rechtssystemen die Anzahl der Erbordnungen begrenzt. In Schweden beispielsweise geht der Nachlass, wenn auch keine Erben der dritten Erbordnung vorhanden sind, unmittelbar an den Staat. Die Volksrepublik China prüft nur zwei Erbordnungen, bevor der Nachlass an den Staat oder an die kollektive Organisation fällt, deren Mitglied der Erblasser war.

Und so werden auch in Deutschland in der Zwischenzeit Überlegungen angestellt, das seit dem Inkrafttreten des BGB (1. Januar 1900) gültige Ordnungssystem zu beschneiden, um vorzeitig das Fiskus-Erbrecht greifen zu lassen. Wollte der Erblasser dies dann verhindern, wäre er gezwungen lebzeitig eine gültige letztwillige Verfügung zu verfassen.

Verfolgt man allerdings den gesetzgeberischen Änderungswillen im Bereich des Erbrechts in den vergangenen 120 Jahren, so dürfte mit solch strukturellen Änderungen in einem überschaubaren Zeitraum kaum zu rechnen sein.

Die revolutionäre Idee: Vergesellschaftung des ganzen Erbes

Der Ökonom Guy Kirsch, gebürtiger Luxemburger und emeritierter Ökonomieprofessor der Universität Freiburg (Schweiz) fordert den Zufluss des kompletten Nachlasses an einen staatlich verwalteten Fond mit dem eingängigen Slogan: „100 Prozent Erbschaftsteuer“. Die Erlöse sollen in einen speziellen Fonds („Trust“) fließen. Dieser soll dazu verwendet werden, Erbschaften auszuzahlen, und zwar für alle Erbberechtigten die gleiche Summe, unabhängig davon, ob die Eltern oder Großeltern eine Milliarde oder gar nichts hinterlassen haben. Um dem Erblasser keinen Ausweg zu lassen, soll es auch eine hohe Schenkungsteuer geben. Auch für Betriebsnachfolger gäbe es keine Ausnahmen. Das alles ist noch kein fertiger Plan, sondern ein „Versuch, in die richtige Richtung zu denken“. So berichtete die Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar 2016.

Kirsch will damit den leistungslosen Erwerb beschneiden. Die Begründung glaubt er dem Liberalismus entnehmen zu können. „Der Liberalismus geht davon aus, dass mit jedem Individuum das Leben neu beginnt“, sagt Kirsch. Und so soll das von ihm angedachte Modell für jede Erbengeneration im Ergebnis die gleichen – zumindest wirtschaftlichen – Startvoraussetzungen schaffen. Es sei schlicht ein Unding, dass die Toten über das Leben der Lebenden entscheiden, weiß Kirsch sein Konzept zu verteidigen. Juristen weisen zu Recht darauf hin, dass hiermit das komplette erbrechtliche System und nicht zuletzt die Verfassung (Art. 14 GG) missachtet würde. Eine revolutionäre Änderung des Gesamtsystems wäre hierzu notwendig. Nach heutigem Stand politisch sicher nicht durchsetzbar.

Das ist nicht ganz neu. Bereits für die französischen Frühsozialisten Claude-Henri de Saint-Simon (1760-1825) und dessen Schüler Saint-Amand Bazard (1791-1832) war das Prinzip des Vererbens an Angehörige der größte Anschlag auf das Gemeinwohl, weil „dies die Spielregeln der Tüchtigkeit außer Kraft setze und ein zunehmendes Ungleichgewicht in der Gesellschaft schaffe“. Bazard forderte zur Verhinderung einer „solchen unverdienten Privilegierung“ eine Erbschaftsteuer von 100 Prozent.

System der Erbschaftsteuer

Mehr politisch durchsetzbare Spielräume bietet da das deutsche Erbschaftsteuerrecht. Das heutige Erbschaftsteuer- und Schenkungssteuergesetz geht auf das erste in Deutschland einheitlich geltende Erbschaftsteuergesetz des Deutschen Reichs aus dem Jahre 1906 zurück, das bei den Erzberger´schen Reformen der Jahre 1919 und 1922 die noch heute gültige Struktur erhielt.

Die Erbschaftsteuer ist als Erbanfallsteuer ausgestaltet und besteuert den unentgeltlichen Erwerb des hierdurch Bereicherten. Nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 7. 11.2006 und vom 17.12.2014 wurde das Erbschaftssteuergesetz jeweils erheblichen Änderungen unterzogen. Auch die Verfassungsmäßigkeit der aktuellen Fassung wird von manchen Fachleuten angezweifelt.

400 Milliarden Euro werden nach Schätzungen jedes Jahr vererbt oder verschenkt. Die Erbschaftsteuer, die den Bundesländern zu Gute kommt, ist dagegen mit vier bis sieben Milliarden Euro jährlichem Steueraufkommen eher eine Bagatellsteuer.

Contra Erbschaftsteuer[8]

Trotzdem oder gerade deswegen steht die Erbschaftsteuer in der grundsätzlichen Kritik. Die Gegner führen ins Feld, dass die Erhebung von Erbschaftsteuer wirtschaftlich zu einer Doppelbesteuerung führt, weil sie bereits durch den Erblasser versteuertes Vermögen einer erneuten Besteuerung unterwerfe.

Darüber hinaus werde die Eigentums- und Testierfreiheit beeinträchtigt, weil der Erblasser zur Steuervermeidung quasi gezwungen ist, für die anstehenden Vermögensübertragungen steuergünstige Konzepte zu wählen, die er ohne die gesetzlich verordnete Steuerlast nicht wählen würde. Durch diese Abhängigkeit von konkreten steuerwirksamen Gestaltungen könne im Rahmen der Erbschaftsbesteuerung keine Belastungsgleichheit erreicht werden.

Desweiteren stelle die Erbschaftsteuer im internationalen Vergleich ein Auslaufmodell dar. In vielen Ländern hat man sich von einer Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs längst verabschiedet.

Pro Erbschaftsteuer[9]

Demgegenüber wird zur Rechtfertigung einer solchen Besteuerung der unentgeltlichen Erwerbe angeführt, dass der Staat durch seine Einrichtungen die Bildung und Sicherung der Vermögen erst ermöglicht, die dann im Erbgang übergehen. Für die Schaffung dieser Voraussetzungen dürfe der Staat eine Gegenleistung verlangen. Hier in Form der Erbschaftsteuer.

Schlussendlich mache es der Gesetzgeber erst möglich, dass Vermögen vererbt und verschenkt werden können. Man könne theoretisch ja auch gesetzlich anordnen, dass Vermögen im Todesfall gleich an den Staat fallen. Genau dies tue der Staat aber nicht. Weiter wird argumentiert, dass wenn erarbeitete Vermögenszuflüsse der Steuer unterworfen werden, so müsse dies erstrecht bei leistungsfreien Erwerben, d.h. solchen ohne Arbeit erwirtschafteten gelten. Schlussendlich wird konstatiert, dass die Erhebung von Erbschaftsteuer durch die Verfassung geboten sei.

Deutsche Erbschaftsteuer im internationalen Vergleich

Deutschland gehört bereits jetzt zu den Ländern, die unentgeltliche Vermögensübergänge innerhalb von Familien im internationalen Vergleich am höchsten besteuern. Bei der direkten Steuerlast liegt Deutschland hinter Belgien weltweit auf Platz zwei. Dies führe, so wird behauptet, zu einem erheblichen Anreiz der Steuerflucht in Länder mit deutlich niedrigerer Erbschaftsteuer.

Innerhalb der EU wird derzeit bei 20 Ländern beim überlebenden Ehegatten und bei 16 Ländern bei Kindern keine oder eine Erbschaftsteuer unter Prozent erhoben. Der deutsche Staat wiederum versucht der Möglichkeit zur legitimen Steuerflucht entgegen zu wirken. Er weitet die Steuerpflicht durch eine fünfjährige Nachwirkfrist von deutschen Staatsangehörigen nach ihrem Wegzug aus. Bei Wegzug in ein Niedrigsteuerland erweitert das Außensteuergesetz die Nachwirkung der deutschen Steuerpflicht sogar auf zehn Jahre.

Bleiben wir in Deutschland. Die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) bezeichnen die Bundesrepublik in einem im Juli 2019 veröffentlichten Bericht als „eines der Länder mit der höchsten Vermögens- und Einkommensungleichheit der Welt“. Dabei werden als Ursache die großen Familienunternehmen ausgemacht. Deren steuerliche Entlastung beim „unentgeltlichen Vermögensübergang“ (Schenkung und Erbfall) steht demgegenüber seit jeher auf der Agenda der Unternehmenslobbyisten.

Mit Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2014[10] wurden die Voraussetzungen für die Betriebsvermögensbegünstigungen durch den Gesetzgeber völlig neugestaltet. Auch Im Rahmen dieser Neugestaltung ist es möglich die Erbschaftsteuer bei betrieblichem Vermögen im Einzelfall komplett zu vermeiden, wenn bestimmte gesetzliche Vorgaben dabei eingehalten werden. Erst bei einem Vermögenserwerb über 26 Mio. EURO findet darüber hinaus entweder ein gestaffelter Abschlag oder eine von einer Verschonungsbedarfsprüfung abhängigen Erlassregelung statt. Im Ergebnis kann es auch bei sehr großen Vermögensübergängen im betrieblichen Bereich zur vollkommenen Erbschaftststeuerfreiheit kommen.

Reversible Enteignung

Hier setzt die Forderung nach „reversibler Enteignung“ beim Vererben von Firmenvermögen an. Helmut Däuble, Politikwissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, sieht die Rechtfertigung für seinen Lösungsansatz im meritokratischen Denken:

„Ein Individuum, das seine eigene Leistungsfähigkeit in geschäftlichen Erfolg umzusetzen vermag, dem sei der daraus resultierende Erfolg und Wohlstand (natürlich nach Erhebung der entsprechenden Ertragsteuern) vergönnt. Doch sobald das durch Leistung erarbeitete Vermögen auf die nächste Generation übertragen wird, die dafür in aller Regel keine entsprechende Leistung erbringen muss, ist es nach meritokratischen Grundsätzen legitim und sogar notwendig, „Enteignungen“vorzunehmen.“

Miteigentümerschaft des Staates

Nach der Idee Däubles würde dabei im Erbfall bei Betrieben eine Erbschaftsteuer nicht mehr direkt erhoben, sondern nur als Miteigentümerschaft des Staates. Es würde also kraft Gesetzes eine Teilenteignung stattfinden.

Damit will Däuble zunächst verhindern, dass dem Betrieb im Erbfall durch eine normale Erbschaftbesteuerung notwendige Liquidität entzogen wird, was zum Verlust von Arbeitsplätzen führen könne, die es zu schützen gilt. Der Staat als nunmehr Miteigentümer des Unternehmens dürfe sich allerdings nicht in die operativen Geschäfte einmischen. Eine solche, von Däuble entworfene „stille Teilhabe“berechtige jedoch dazu, regelmäßig einen Gewinnanteil einzuziehen. Das wären dann keine sofort fälligen Steuern, sondern aus der kraft Gesetzes eingetretenen Beteiligung erhobene Ansprüche auf den entsprechenden Teil der Gewinne. Ein „Fair Share“ meint Däuble. Die erhaltenen Mittel könnten nach seiner Vorstellung dann beispielsweise in genossenschaftlichen Wohnungsbau investiert werden.

Rückkauf der staatlichen Beteiligung mit und ohne Rabatt möglich

Nach Däubles Konzept soll die staatliche Beteiligung aber durch die Erben wieder beseitigt werden können, in dem die staatliche Beteiligung schlicht zurückgekauft wird. Findet der Rückkauf zeitnah zum Erbfall statt, soll der Rückkaufpreis rabattiert werden („Schnelles Geld ist halt gutes Geld“).

Größenordnung der Beteiligung

Die Teilhabe des Staates im Erbfall solle je nach Betriebsgröße zwischen 30% und 50 Prozent betragen, um überhaupt Vermögensungleichheiten produzierende Ergebnisse wirksam einschränken zu können.

Man hört die Unternehmens-Lobbyisten schon aufschreien. Die Verfassungsrechtler zucken zusammen und sehen das Grundgesetz gefährdet. Erkennt man aber bei realistischer Betrachtung, dass ein solches Modell wohl kaum politisch und gesellschaftlich durchzusetzen ist, dann bleibt Raum dafür, den Gedankenansatz, der hinter solchen Ideen steht, ganz unbedarft auf sich wirken zu lassen. Wie fühlt sich das dann an?

Erhöhung der Erbschaftsteuer

Peer Steinbrück u.a. wollen durch Drehen an der Steuerschraube das Erbschaftsteueraufkommen in Deutschland verdoppeln. 15 Milliarden sollen auf diese Weise jährlich vereinnahmt werden.

Wegfall aller Steuerentlastungen

Ergänzend wird gefordert, sämtliche Vergünstigungen wegfallen zu lassen und mit moderaten Steuersätzen die ganze Bandbreite der Erwerbe zu erfassen.

Der Grünen-Wirtschaftsexperte Dieter Janecek glaubt tendenziös, dass sich Deutschland „immer mehr zur Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen reichen Erben und Menschen, die sich ihr Einkommen selbst hart erarbeiten müssen“ entwickle. Dem ein Stück weit entgegen zu wirken, fordert er die pauschale Erhebung einer Erbschaftsteuer in Höhe von 15 Prozent.

Den rechnerischen Ansätzen, die in den Ring geworfen werden, sind keine Grenzen gesetzt, wie man sieht.

Je älter das Vermögen, desto höher die Steuer

Daniel Halliday, der in Melbourne politische Philosophie lehrt, will den Nachlass neu besteuern: „Umso höher, je älter das Vermögen ist“[11]. Einen solchen Vorschlag hatte der italienische Ökonom Eugenio Rignano bereits in den Zwanzigerjahren gemacht. Halliday will ihn jetzt aus der Vergessenheit holen. Die Idee ist folgende:

„Wer seinen Kindern hinterlassen will, was er tatsächlich aus eigener Arbeit erwirtschaftet hat, dem ist das natürlich erlaubt – auch steuerfrei. Die Kinder sollen dann aber nicht mehr das Recht haben, das so geerbte Vermögen steuerfrei weiter zu vererben?“

Eine solche zeitliche Progression könnte man dann nach der Vorstellung Hallidays ergänzen um Freibeträge und eine Progression, die sich nach der Höhe des Vermögens richtet. Nach den Steuersätzen gefragt, die er sich vorstellt:

„Der erste Transfer eines Vermögens sollte noch steuerfrei sein, der zweite mit 50 Prozent besteuert werden, und einen dritten Transfer sollte es gar nicht mehr geben – der Steuersatz wäre dann 100 Prozent“.

Grunderbe für alle

„Wenn wir in wirklich absehbarer Zeit `Wohlstand für alle‘ schaffen wollen, dann sollten wir die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland durch Umverteilung reduzieren, indem die besitzlose Hälfte ein Grunderbe zum Vermögensaufbau erhält, das über Steuern auf hohe Vermögen finanziert wird.“ So wird der DIW-Steuerexperte Stefan Bach zitiert. Grundlage ist eine vom DIW erstellte Studie.

Ausblick

Einer Durchsetzbarkeit am ehesten zugänglich ist der Dreh an der Steuerschraube. Welche gesellschaftlichen und politischen Interessengruppen sich hierbei durchsetzen werden, hängt nicht zuletzt von den zukünftigen politischen Mehrheiten ab. Eine -wie auch immer geartete- Erhöhung der Erbschaftsteuer ist nicht nur denkbar, sondern sehr wahrscheinlich. Der Erhalt von Vergünstigungen bei Betriebsvermögen genießt dabei jedoch schon einen gewissen Artenschutz.

Aber wie verhält sich das mit der teilweise als notwendig angesehenen Umverteilung der viel kritisierten leistungsfreien (unentgeltlichen) Erwerbe?

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem am 17.12.2014 verkündeten Urteil festgestellt, dass es grundsätzlich legitim sei, gerade Familienunternehmen teilweise oder sogar vollständig von der Erbschaftsteuer zu befreien, um ihre Existenz und Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Es sei aber unzulässig, auch Großunternehmen weiter ohne konkrete Bedürfnisprüfung von der Erbschaftssteuer zu verschonen, heißt es in diesem Urteil. In einem Sondervotum stimmten drei der insgesamt acht an dem Urteil beteiligten Richter ebenfalls der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Es sichere die Entscheidung weiter ab und mache ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar. Die Erbschaftsteuer diene nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern soll als Instrument des Sozialstaats verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwachse. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeige die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung, die in den letzten Jahren immer größerer Ungleichheit geführt hat.

Ein klares Bekenntnis dreier Verfassungsrichter zur Notwendigkeit von Umverteilung im Erbfall. Öffnet das Reformtüren, die wir heute noch nicht sehen, oder zumindest für gut verriegelt hielten?

Die Jagd auf die Erbengeneration hat ganz offensichtlich begonnen!

Thesen zum Erbrecht und zur Erbschaftsteuer:

Zum Schluss dieses Beitrags noch zwei Thesen, die bitteschön nur als unpolitischer Denkanstoß verstanden werden sollen.

These 1: Begrenzung der Erbordnung

Wenn der Erblasser durch das Nichterrichten eines Testaments gezeigt hat, dass er selbst keinen Erben zu bestimmen gedenkt, sollte dann der Nachlass über die zweite Erbordnung (Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen) hinaus im Wege der gesetzlichen Erbfolge übergehen, oder sollte hier nicht bereits das Fiskuserbrecht (Erbrecht des Staates) greifen? Sollen tatsächlich entfernte Verwandte gesetzlich erben, auch wenn keinerlei persönliche Beziehung zwischen ihnen und dem Erblasser bestand? Würde man das gesetzliche Erbrecht insoweit auf eine bestimmte Erbordnung begrenzen, hätte es der Erblasser immer noch in der Hand, dem Fiskuserbrecht durch Errichtung eines Testamentes entgegenzuwirken.

These 2: Steuerliche Entlastung des testamentarischen Erben

Sollte nicht der vom Erblasser gewünschte und durch Testament bedachte Erbe unabhängig von seinem Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser deutlich steuerlich entlastet werden? Denn der Erblasser hat mit seiner testamentarischen Erbeinsetzung deutlich gemacht, dass ihm die bedachte Person in besonderer Weise nahestand und sich insoweit im Hinblick auf das Erbe verdient gemacht hat.

Omnia tempus habent (Alles hat seine Zeit).

[1] Süddeutsche Zeitung vom 27.01.2016

[2] Spiegel 21.7.2019

[3] Handelsblatt 10.7.2019

[4] wallstreet-online 23.5.2019

[5] J. Mayer ZEV 2010, 445.

[6] Siebert ZEV 2019, 688

[7] Vgl. Siebert ZEV 2019, 688

[8] Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Auflage 2018, Einf. Rn. 2

[9] Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Auflage 2018, Einf. Rn. 2

 

[10] ZEV 2015, 19

[11] Zeit-onlie 08.01.2020